Wie kommen wir zur verlorenen Spiritualität?

Nachdem wir uns die Grundlagen angeeignet haben, nachdem wir uns in die zugänglichen Primärquellen eingelesen und die Sekundärquellen kritisch untersucht haben — was geschieht nun? Wie soll man trockene, realitätsbesessene Fakten in Spiritualität übersetzen? Und ist es überhaupt notwendig? Muss ich wissen, wie ein Alemanne bestattet wurde, wenn Grabbeigaben und Hügelgräber für mich ohnehin nicht zelebrierbar sind? Kann ich als Asentreuer des 21. Jahrhunderts wirklich mit der Idee, Thor würde Gewitter beschwören, etwas anfangen?

Zuerst einmal: Die Quellen und Fakten sagen uns nicht, was zwischen Menschen und Göttern auf spiritueller Ebene stattgefunden hat. Schon gar nicht sagen sie uns, wie die Götter auf die Menschen einwirkten. Was wir aber daraus beobachten können, ist der menschliche Versuch, den Blick der Götter auf sich zu lenken.
Wir wissen von Opferriten und Ritualen, wir wissen von Bestattungen und Hochzeiten, wir wissen von Magieausübung und dem Glauben an übersinnliche Kräfte. Nun ist es unsere Aufgabe, diese Fakten mit Leben zu füllen. Ein Ritual besteht nicht nur aus dem dargebotenen Opfer, sondern aus dem, was sich spirituell abspielt.

Ich kann hierfür keine Anleitung geben, denn dies ist der schwierigste Schritt, um unseren Glauben wiedererwachen zu lassen, und in meinen Augen auch derjenige, der am häufigsten unterschätzt wird. Und genauso glaube ich, dass niemand dafür jemals eine Anleitung geben kann, die online verfügbar ist, und die das abdeckt, was ein Ritual abdecken sollte. Rituale können vielleicht nacherzählt oder von Angesicht zu Angesicht weitergegeben werden, sie können miterlebt und in die eigene Blótgruppe importiert werden — aber ich halte es für den falschen Weg, von einem anonymen Gesichtspunkt zu einem anderen etwas so Höchstpersönliches und Delikates weiterzugeben.
Aus genau demselben Grund verurteile ich es auch, dass Rituale fremder Kulturen in der Vergangenheit übernommen und geringfügig angepasst wurden (christliche Rituale, die wir aufgrund unserer Erziehung für normal und selbstverständlich befinden und „heidnisiert” wurden; Rituale anderer „ursprünglicher” Kulturen, denen wir aufgrund ihrer archaischen Lebensweise eine Nähe zu den früheren Germanen unterstellen, weil alles Alte irgendwie gleich sein muss). Diese Art der Rituale hat sich mittlerweile in den Reihen der deutschen Asentreuen durchgesetzt, und mögen sie einmal für den einzelnen etwas Besinnliches und Einkehrendes gehabt haben, so sind sie mittlerweile durch die Öffentlichkeit und Omnipräsenz ausgewaschen und werden — völlig zurecht — von einem großen Teil der Asengläubigen belächelt.

Wir haben alle Puzzleteile, um unseren Kult neu auferstehen zu lassen. Wir kennen eine große Zahl der göttlichen Ansprechpartner, wir kennen die Mythen, die sie umgeben und wir kennen das profane Äußere, das die Rituale umgibt. Spiritualität, Übersinnliches und die Fähigkeit, das Transzendentale wahrzunehmen aber liegt in jedem Menschen, der glauben möchte. Wir müssen nur unsere persönliche Quelle anzapfen.

Ich bin selbst noch auf der Suche nach meinem Zugang zu funktionierenden Ritualen und beschäftige mich daher mit Quellen unterschiedlichster Machart. Aber noch bin von einer stabilen und zufriedenstellenden Grundlage weit entfernt. Erkenntnisse, Ideen und Meinungen werde ich hier auf jeden Fall darzustellen versuchen. Vielleicht, hoffentlich kommt am Ende ja doch ein Ergebnis heraus, das weiterhilft.

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Kommentare: 4
  • #1

    Nachtsegler (Montag, 17 Dezember 2018 15:51)

    Es ist für mich immer wieder faszinierend, wie wir Menschen uns als Wesen suchen. Orientierung, Halt, Einordnung: das scheinen elementare Beweggründe zu sein. Diese "innere Unruhe", diese Suche - ich kenne sie. Wir setzen uns ins Verhältnis, wir suchen Ordnung; und vermutlich Abgrenzung, schafft diese doch Identität. Diese Seiten inspirieren mich.

  • #2

    Eichenstamm (Mittwoch, 19 Dezember 2018 13:29)

    Es freut mich, dass dich meine Seiten inspirieren. Und ich danke dir, dass du mir ein paar deiner Gedanken mitteilst. Mitunter kreist man doch sehr in seinem eigenen Kopf, sodass man den Blick darüber hinaus mitunter verliert. Es tut gut, mal eine andere Sichtweise zu lesen.

  • #3

    Nachtsegler (Donnerstag, 20 Dezember 2018 07:03)

    Sitten unterliegen dem steten Wandel als Produkt der Veränderung von Gesellschaft. Da ist Austausch und Diskussion eine essentielle Basis für Entwicklung und Erkenntnis. :)

  • #4

    Eichenstamm (Donnerstag, 27 Dezember 2018 16:27)

    Deiner Meinung!