Paganism Explained - Part I: Þrymskviða

Kurzinfos

Autor: Varg Vikernes, Marie Cachet

 

Verlag: Selfpublishing

 

Veröffentlichung: 2017


Gestaltung

Informationen

Quellentreue


Dass Varg Vikernes eine umstrittene Persönlichkeit ist, ist mindestens in Black Metal-Kreisen bekannt. Und dass sein Heidentum höchstwahrscheinlich von seiner Ideologie verwässert sein würde, war zu erwarten. Nichtsdestotrotz war mir ein eigenes Urteil wichtig, weshalb ich mir dieses Exemplar für wenig Geld anschaffte.

Die Þrymskviða soll der erste Band einer ganzen Reihe von »erklärtem Heidentum« sein, ist allerdings bar jeglicher Einleitung, die dem Ganzen ein nützliches Fundament gäbe. Immer wieder wird versprochen, dass innerhalb dieses Buches oder der Buchreihe Konzepte erklärt werden — tatsächlich gibt es aber schon bei oberflächlicher Betrachtung berechtigte Zweifel an solchen Aussagen: Das Buch hat gerade einmal 50 Seiten, die Schriftgröße würde ich laienhaft auf 16 bis 20 Punkt schätzen. Von diesen 50 Seiten nehmen allein 30 das Abdrucken des eddischen Liedes Þrymskviða auf Altnordisch und in Vikernes’ englischer Übersetzung ein. Die Gestaltung ist hierbei nachlässig, teilweise fehlen Absätze (Seite 31), teilweise verschiebt sich die Ordnung der Strophen von je zwei Strophen (eine altnordische, eine englische) auf einer Seite hin zu einer altnordischen Strophe auf der einen, die dazugehörige englische auf der anderen Seite. Das ist der überdimensionalen Schrift geschuldet und hätte allzu leicht behoben werden können. Auch sind die unterschiedlichen Sprachen in keinster Weise optisch differenziert worden, kursiv etwa, in einer anderen Spalte o.Ä.
Diese ziemlich gleichgültige und lieblose Optik unterstreicht damit den ebenso sorglosen Inhalt des Buches.

Die im Anschluss von Vikernes angegebenen Quellen reduzieren sich auf exakt drei Bücher, wobei zwei davon Wörterbücher sind und das dritte »Snorri Sturluson’s The Eddas, Þrymskviða«. Es bleibt vollkommen unklar, was genau Vikernes damit meint. Persönlich hege ich ja leider den Verdacht, dass er allein mit dieser Zeile seine völlige Unwissenheit überdeutlich in Szene gesetzt hat:

  • Vikernes spricht von »Eddas«, dem Plural, und setzt Snorri Sturluson als ihren Urheber vorne fest. Er sollte aber eigentlich wissen, dass Snorri Sturluson nur eine der Eddas geschrieben hat und …
  • … ganz bestimmt nicht diejenige, in der die Þrymskviða steht: Diese steht in der Lieder-Edda und wird von Snorri höchstens in Fragmenten zitiert, keinesfalls als Ganzes.
  • Außerdem ist die Snorra Edda in vier Manuskripten überliefert, welches davon verwendete Vikernes? Oder (wahrscheinlicher, womit aber die Beifügung »Snorri Sturlusons« ad absurdum geführt worden wäre) nutzte er die Lieder-Edda, die tatsächlich nur einmal vorhanden ist? Falls es sich nicht um das Originalmanuskript handelte (wovon auszugehen ist) — welche Edition oder welchen Druck benutzte er? Für die »wissenschaftliche« Rezeption eines mittelalterlichen Textes ist diese Information das A und O.
  • Daraus folgt die leise Vermutung, die ich natürlich nicht beweisen kann, aber die sich nach diesen Punkten bei mir eingeschlichen hat, dass Varg Vikernes irgendeinen Druck eines unwissenschaftlichen Verlages verwendete, bei dem unter unsauberer Trennung Snorra Edda und Lieder-Edda in einem Buch zusammengefasst wurden.


Es bleibt letztlich nur zu hoffen, dass die beiden Wörterbücher, die Vikernes außerdem als Quellen aufführt, nur ein Hilfsmittel, nicht seine eigentlichen Quellen waren: Beherrscht er das Altnordische fließend, wie es für solch eine Übersetzungsarbeit notwendig ist, oder kennt er die Sprache nur bruchstückhaft und hat das Unbekannte mithilfe der Wörterbücher zusammengebastelt?
Schon nach sehr oberflächlicher Lektüre seiner Übersetzung drängt sich letztere Vermutung auf.

Strophe 2:
»Heyrðu nú, Loki, hvat ek nú mæli …« (eigentlich: Hör nun, Loki, was ich nun sage)
→ bei Vikernes: »Hear Loki, hear what I say«, also: »Hör Loki, hör, was ich sage«

Strophe 14:

»Senn váru æsir | allir á þingi | ok ásynjur | allar á máli« (eigentlich: Sofort waren die Asen | alle beim Thing | und die Asinnen | alle bei der Rede)
→ bei Vikernes: »All the (male and female) spirits, | gathered at the court/Thing, | everyone was there«, also: »All die (männlichen und weiblichen) Geister, | versammelt bei Hof/beim Thing, | jeder war dort.«

Die seltsame Übersetzung von Ase als »Geister« erklärt Vikernes, indem er behauptet áss stamme von *ansuz und bedeute »Geist«, wobei er weder seine Quelle dafür erwähnt (vielleicht eines der am Ende genannten Wörterbücher) noch die etymologische Entwicklung des Wortes mit einbezieht:  Auch wenn Ase in seiner ursprünglichen protonordischen Bedeutung »Geist« bedeutete, ist es sicherlich schon im Altnordischen einer Entwicklung unterlaufen und wurde zum spezifischen Namen eines Göttergeschlechts (Gerhard Köbler gibt beispielsweise in seinem Online-Wörterbuch ansu- schon im Germanischen neben »Geist« als »Ase« u.a. an). Die Gleichsetzung von »Geist« im Sinne einer bestimmten göttlichen Präsenz mit »Geist« im allgemeinen, spirituellen Sinne ist extrem fahrlässig und nicht haltbar (oder zumindest stark diskussionswürdig). In jedem Fall würde solch eine These einer genaueren Betrachtung benötigen und kann schwerlich in einem Satz in einer Fußnote abgehandelt werden.

Auf dieser Ebene bewegt sich leider das ganze Buch. Im ersten Teil schlägt Vikernes gegen die Wissenschaft und ihre allzu christlich beeinflusste Interpretation der germanischen Religion aus, während er gleichzeitig gerade solchen klassischen Beeinflussungen unterliegt, indem er beispielsweise den Gegensatz von Körper-Geist unreflektiert aufgreift und als Grundlage für seine Deutungen verwendet. An anderer Stelle tauscht er die christliche Brille gegen eine ein, die stark an den Hinduismus erinnert, indem er Reinkarnation und Wiedergeburt als zentral für den germanischen Glauben darstellt und — ohne auch nur eine Quelle oder einen handfesten Hinweis in diese Richtung zu nennen — diese Ansicht als vollkommen richtig und jeder wissenschaftlichen Meinung überlegen darstellt. Er nennt altnordische Begriffe, die dafür stünden, sagt aber nicht, aus welcher Quelle und welchem Zusammenhang er sie gezogen hat.
Den zweiten und allergrößten Teil machen die schon besprochene Þrymskviða und ihre Übersetzung aus. Im dritten Teil kommt Vikernes’ Frau, Marie Cachet, mit einer Interpretation des Liedes zu Wort. Spätestens an dieser Stelle überschlägt sich engstirnige Ideologie mit esoterischem Interpretationswahn und pseudowissenschaftler Suche nach Parallelen zwischen der Þrymskviða und Wissenschaft. Die Manier ähnelt dabei erschreckend derjenigen, welche vor 150 bis 200 Jahren aktuell war und inzwischen längst überholt ist.
Während man der Kernaussage, in dem Lied wird ein Fruchtbarkeitsprozess dargestellt, noch durchaus zustimmen möchte, schwindelt einem bei den Details: Thor als Toter, dem sein Herz gestohlen wurde, Loki mal als Testosteron, mal als als Progresteron, mal als Schwangerschaftshormon, die Riesen als Endometrium (Gebärmutterschleimhaut) und Freyja übernimmt die Rolle eines Eis. Die Þrymskviða erzählt damit die männliche Erregtheit, die weibliche Bereitschaft zur Schwagerschaft und Wachsen und Geburt des Embryos, so zumindest die Kurzfassung von Cachets schwankhafter Erläuterung, in der jedes Gesicht des Liedes je nach Bedarf seine Rolle wechseln kann.
Solcherlei Deutungen müssen nicht per se schlecht sein, ich selbst hänge etwa vielen Interpretationen von Felix Dahn an — doch in keinem Fall ist eine Interpretation eines Mythos ein gültiger Beweis für eine so steile These wie Vikernes’ Reinkarnationstheorie.

Deswegen, wegen seiner schieren Verhöhnung des Lesers aufgrund der riesigen Schriftgröße auf ohnehin schon wenigen Seiten, und wegen der generellen unsauberen Arbeit ist das Buch in keinster Weise zu empfehlen.

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Kommentare: 4
  • #1

    Galdrabók (Donnerstag, 12 Juli 2018 12:18)

    Vielen Dank dass endlich jemand mit Vikernes' kruden Theorien aufräumt. Leider hat er eine nicht gerade kleine Gefolgschaft, die ihm diesen Mist auch noch glaubt. Wer sich die Zeit nimmt ein paar seiner YouTube-Videos anzusehen und sich mal die Kommentare dadrunter durchliest, wird leider sehr schnell ein starkes Gefühl des Fremdschams bekommen.

  • #2

    Eichenstamm (Freitag, 13 Juli 2018 09:53)

    Grüß dich Galdrabók,

    ich muss gestehen, dass ich mir Vikernes' Videos noch gar nicht angeschaut habe, werde das jetzt im Anschluss aber sicherlich tun. Das Problem ist wahrscheinlich, dass ihn viele wegen seiner Musik verehren bzw. seine Selbstdarstellung von einem derartigen Selbstbewusstsein strotzt, dass man eigentlich glauben muss, er wüsste tatsächlich, wovon er spricht. Und ehrlich gesagt: Einen derartigen Humbug habe ich mir auch nicht erwartet.

    Naja, da es schon gelesen ist, kommt in zwei Wochen noch eine Rezension von einem zweiten seiner Werke; ob ich die übrigen beiden lese, weiß ich noch nicht ...

  • #3

    Nachtsegler (Montag, 17 Dezember 2018 18:00)

    Wer auf 50 Seiten Jahrhunderte Überlieferung, Tradition, Brauchtum und Sitte ERKLÄREN möchte (offenbar ja der titulierte Selbstanspruch), der muss zwangsläufig scheitern. So ist er schon einmal gescheitert, als er die Geburt des Black Metal als Schaffung von Neuem durch das Vernichten von Altem rechtfertigte, wenig später jedoch das Christentum dafür anklagte (da gibt es interessante Interviews mit VV bei youtube, kann ich zum Grinsen echt empfehlen). Wer Altes bewahren will, aber zugleich zum Bruch mit alten Traditionen (bei ihm: Musik) aufruft, ist sich irgendwie ja selbst untreu.
    Das Ergebnis spottet offenbar auch hier jeder Beschreibung.

    q.e.d.

  • #4

    Eichenstamm (Mittwoch, 19 Dezember 2018 13:24)

    Wobei er ja in den späteren Jahren ohnehin dem Black Metal entsagt hat, weil dort "Negerinstrumente" verwendet würden.

    Ich schätze, Vikernes hat sich in seiner ungestümen Jugend einfach ein paar Mal verrannt und bringt nicht den Mut auf, sich mit seinen eigenen Fehlern zu konfrontieren. Das lässt ihn leider noch immer als ziemlich unreif erscheinen.