Eigenbezeichnung

Es gibt dutzende unterschiedliche Bezeichnungen für den modernen Glauben unserer germanischen Vorväter. Von Altheidentum zum Neuheidentum, vom Ásatrú zum Lokitru (sick!) scheint alles dabei. Manche wählen ihre Bezeichnung nach Klang aus, andere nach Gewohnheit, wieder andere mit ideologischer Präzision.

Ásatrú

Der Begriff Ásatrú (neuisl. ausgesprochen „Ausatru” mit stimmlosem s, Betonung auf der ersten Silbe) stammt aus dem Isländischen und bedeutet Asentreue. Unter anderem wird diese Bezeichnung von der isländischen Vereinigung Ásatrúarfélagið verwendet („Ásatrú-Verein”, wobei félagi ein altes Wort für einen „Fahrtgenossen [ist], mit dem man auch vertraglich verbunden war” bzw. worunter man einen „Teilnehmer [verstand, der] an einem partnerschaftlichen Unternehmen, bei dem man Kapital wie die Ausrüstung des Schiffes, Handelsware u.a. zusammenlegte” (Krause, 2017)).
Eine Hauptkritik an dem Begriff ist, dass er nur die Asen im Namen trägt und die Familie der Vanen vollkommen außer Acht lässt. Dies mag stimmen, tatsächlich basiert der isländische Glaube jedoch auf den Asen, da selbst berühmte und wichtige Vanen wie Njörd, Freyr und Freyja nach dem Vanenkrieg in die Familie der Asen aufgenommen wurden.
Problematischer ist, dass der Begriff Ásatrú isländisch ist und somit auf eine Exotik in der Tradition hindeutet, die bei vielen Anhängern des alten Glaubens nicht zielführend ist. Zwar ist der Großteil unserer Quellen nordischer Natur, aber Odin, Thor und Freyr wandelten auch in den südgermanischen Gebieten, wenn auch unter anderen Namen. Indem man nun die Bezeichnung Ásatrú verwendet, trägt man eine Haltung nach außen, die besagt, dass man sich auf isländische Götter, nicht auf kontinentalgermanische berufe. Anderseits ist die Faktenlage durchaus so, dass der südgermanische Kult kaum wiederbelebt werden kann und wir daher tatsächlich auf isländische Quellen angewiesen sind, die sich in vielen Fragen sicherlich vom Glauben unserer Gefilde unterscheiden wird.
Auch die deutsche Übersetzung Asentreue löst das Problem nicht wirklich, da der Begriff „Ase” nicht in unseren Breitengraden überliefert ist. Authentisch ist er also nicht, vielmehr ein Kunstwort, allerdings verweist er eventuell auf das richtige Prinzip, umgeht die exotische Weiterleitung auf das ferne Island und schlägt stattdessen Wurzeln in unserer eigenen Kultur und Herkunft, indem er sich unserer Sprache bedient. Aus diesem Grund erscheint er uns vielleicht näher als das für viele unaussprechliche Ásatrú.

Lokitrú, Rökatrú u.a.

Solcherart Begriffe finden sich meist nur in Subkulturen, die darauf verweisen, dass sie den „dunkleren” Gottheiten der germanischen Überlieferung zugeneigt sind, etwa Loki oder Riesen. Es ist allerdings schwer, diese Bezeichnungen ernst zu nehmen, da sie v.a. von einer mangelnden Beschäftigung mit der Materie zeugen. Der Verdacht von „Satanismus im Asenglauben” drängt sich regelrecht auf, ist aber denkbar unpassend, da es im Gegensatz zu monotheistischen Religionen in der germanischen Tradition keine schwarz-weiß-Zeichnung gibt und etwa Götter wie Loki schwerlich dem Bösen oder Guten zugeordnet werden können. Hinzu kommt die grammatikalische Inkorrektheit des Begriffs Lokitrú (richtiger: Lokatrú).
Selbst ein großer Sympathisant der „dunklen” Seite des germanischen Glaubens bewegt sich also immer innerhalb der Linien dieses Kultes — eine andere, angeblich spezifischere oder treffendere Bezeichnung ist daher nicht vonnöten.

Germanisches Heidentum

Aufgrund seiner großen Bekanntheit und Verständlichkeit ist dieser Begriff sehr beliebt, beschreibt er doch recht deutlich, woran man glaubt, während er sich gleichzeitig auf eine gewisse Herkunft beruft und Island nicht unbedingt im Namen trägt.
Nach jahrelanger Überzeugung von dieser Bezeichnung erscheint er mir heute jedoch als der wohl ungeeignetste für unsere Interessen.
Das Wortfeld „heidnisch” (Heide, Heidentum, …) wird nicht nur für Anhänger von Asen und Vanen, sondern auch für die Traditionen des griechischen, römischen oder keltischen Götterglaubens verwendet. Mitunter findet man den Begriff sogar jenseits unseres Kontinents, für den indianischen Glauben etwa. Ihm haftet vor allem etwas Ursprüngliches, Natur-Spirituelles, vielleicht sogar Magisches an. Das kommt nicht von ungefähr.
„Heidnisch” bedeutet nichts anderes als „nicht dem Christentum angehörend”. Ein Heide ist jemand, der den wahren Glauben noch nicht kennt beziehungsweise diesem nicht folgt. Dazu gehören nicht nur Anhänger der vorchristlichen Tradition in Europa, sondern ebenso Atheisten, Moslems und Teufelsanbeter. „Heide” ist ein Sammelbegriff rein christlicher Rhetorik — und noch dazu ein wenig schmeichelhafter. Er ist diffamierend gemeint, bezeichnet die „Hinterwäldler” in der Heide, die von der wahren Religion nichts wissen, und steht dementsprechend auf derselben Linie wie „Neger” oder „Piefke”. Auch wenn politische Korrektheit sicher mit Maß und Ziel angewandt werden muss, so sollte man es durchaus hinterfragen, ob die ernst gemeinte Bezeichnung für seinen Glauben derart lapidar sein sollte. Zumal der allergrößte Teil der selbsternannten Heiden um die Herkunft des Begriffes nicht weiß und sich somit weniger der Gleichmütigkeit als der Desinformation schuldig macht. Gerade in Anbetracht der Geschichte der „Heiden”, ihrer gewaltsamen Unterdrückung durch Christen und letztendliche geistige Ausrottung durch dieselben, ist eine Übernahme von deren verächtlicher Bezeichnung, die letztendlich zu all dem Blutvergießen geführt hat, nicht nur ironisch, sondern auch geschichtsvergessen und selbstrespektlos.
Nicht besser zu bewerten ist der Begriff „Paganismus”, da er dieselbe Geschichte hat und lediglich aus anderen Sprachen übernommen wurde (von lateinischen „paganus”, was so viel wie „dörflich”, „ländlich” bedeutet bzw. als Substantiv erneut „die Heide”).

Unabhängig von der Bezeichnung Heidentum finden sich heutzutage zudem die Zusätze „Neuheidentum” und „Altheidentum”.
Das Altheidentum ist eine Erfindung von Géza von Neményi, dessen Ziel es ist, hervorzuheben, dass zwischen dem Glauben der alten Germanen und seiner Ausübung keinerlei Bruch besteht. In Anbetracht der Tätigkeiten und Beschreibung seiner Glaubensgemeinschaft, die sie als bar jedes geschichtlichen Fundaments entlarvt, ist eine derartige Behauptung allerdings schamlos. Zumal der Name „Altheidentum” impliziert, dass der Kult im 21. Jahrhundert noch älter wäre als derjenige, der im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung befolgt wurde.
Auf den Seiten der Germanischen Glaubens-Gemeinschaft wird durchaus erwähnt, dass die Bezeichnung „Altheidentum” sich dem „Neuheidentum” von Vereinigungen wie dem Eldaring oder dem Verein für Germanisches Heidentum entgegenstellt (und damit impliziert, dass die GGG mehr Legitimation und historische Korrektheit besitze). Das macht den Begriff „Altheidentum” an sich aber nicht weniger problematisch.
Das Neuheidentum geht mit dem konträren Lösungsansatz an die Problematik der jahrhundertelangen Lücke der Überlieferung: Anstatt eine völlig authentische Kultausübung für sich zu beanspruchen (die tatsächlich vollkommen unmöglich ist), bezieht es dieses Manko mit ein und gesteht, dass Lücken der Überlieferung nur mit Mutmaßungen geschlossen, moderne Gegebenheiten in die Praxis miteinbezogen werden müssen. Gleichzeitig führt die damit erschaffene Distanzierung vom Ursprungsbegriff aber zu einer vermehrten leichtsinnigen Haltung, nach der heute sowieso alles anders, alles modern, alles möglich ist, und der Grundgedanke hinter dem alten Kult zusehends verwässert.
Beide Begriffe, sei es Altheidentum, sei es Neuheidentum sind daher nicht nur wegen ihrer gedankenlosen Übernahme des Wortes „heidnisch” ungeeignet, sondern außerdem auch wegen der Bewertung des Alters, wobei man sich durchaus die Frage stellen muss, welche Bedeutung Zeit für einen Glauben überhaupt hat.

Alte Sitte und Forn siðr

„Alte Sitte” oder „Firne Sitte” (nach dem alten deutschen Begriff „firn”, was „alt” bedeutet” und mit dem isländischen „forn” bzw. dem deutschen „fern” verwandt ist) wurde vor allem aus den Isländersagas übernommen, wo Anhänger der vorchristlichen Tradition diese mit „forn siðr” bezeichneten (in Verwendung ist insbesondere bei Schweizer Gruppen auch „Firner Situ”). Obwohl diese Bezeichnung ebenfalls eine isländische Wurzel hat, erachte ich sie im Vergleich zu Ásatrú als ungleich geeigneter, da sie erstens auf das Wort Ase, das bei uns nicht nachweisbar ist, verzichtet, und zweitens einen authentischen historischen Begriff darstellt, der zwar aus einer Zeit nach der Christianisierung und zudem aus christlicher Feder stammt, bei dem es aber dennoch gut möglich ist, dass er auf eine tatsächliche damalige Bezeichnung zurückgreift. Ein Umstieg auf das Christentum wurde als „siðaskipti”, also als „Wechsel der Sitten” bezeichnet (Krause 2015).
Alte Sitte bezieht sich nicht allein auf den Glauben, sondern auf ein ganzes Kulturspektrum und steht damit auf derselben Linie wie die christliche Bezeichnung „Religion” oder die hinduistische Selbstbezeichnung „dharma”. Diese Begriffe verbindet miteinander, dass sie nicht das Göttliche ins Zentrum stellen, sondern das Gesellschaftliche, eine soziale Grundhaltung, Erziehung und Rituale.
Die Schwäche des Begriffs findet sich leider auch genau in diesem Wortspektrum: Die Sitte, die in der Modernität vorherrscht, ist zu großen Teilen mit derjenigen der vorchristlichen europäischen Gesellschaft nicht mehr zu vergleichen. Die Bezeichnung Alte Sitte erhebt daher Anspruch auf eine fortgeführte Tradition, die so nicht den Tatsachen entspricht.
Nichtsdestotrotz ist dies der Begriff, den ich größtenteils auf diesen Seiten verwenden werde. Das liegt zum einen daran, dass er wertungsfrei ist (im Gegensatz zu „Heidentum”), dass er keine neue, erfundene Bezeichnung darstellt (im Gegensatz zu „Ásatrú/Asentreue”) und dass er außerdem den Schwerpunkt auf die Lebensart legt, nicht allein auf den Glauben. Mag es auch schwierig sein, zwischen Technologie und Menschenmassen, zwischen Betonklötzen und Wissenschaftlichkeit zu einer Lebensweise zurückzufinden, die jener auch nur nahe kommt, die unsere germanischen Vorfahren führten, so war das für mich immer ein Ideal, dem ich noch heute nachjage. Der Begriff Alte oder Firne Sitte erinnert mich an dieses Ziel und trägt mein Streben daher perfekt im Namen.
Hinzu kommt, dass ein anderer Schwerpunkt gesetzt wird, als es bei all jenen Gruppierungen geschieht, deren Vorgehen ich verurteile. Seien es rechtsradikale Kreise, die in der Überlieferung völkische Formen zu entdecken glauben, aber die Sitte völlig außer Acht lassen, seien es linksextreme Vereine, für die eine Sitte so oder so nicht mehr bestehen kann und die sich vielmehr auf eine psychoanalytische Interpretation á la C. G. Jung berufen.

Ein weiterer Grund, warum ich mit dem Wort „firn” sympathisiere, ist sein Überbleibsel als Substantiv: Firn ist „nicht wegschmelzender Schnee des Hochgebirges, der durch wiederholtes Auftauen und Wiedergefrieren körnig geworden ist” (Duden). Nicht wegzuschmelzender Schnee — so sehe ich auch uns Anhänger der Alten Sitte, die wir weit zurückgedrängt wurden und unseren  Gletscher der Traditionen dennoch nicht verlassen. Die Zeit hat unsere Überlieferung eingeschränkt, aber nicht gekappt. Wir fangen nicht von Null an, wir sind kein „Neuheidentum” und auch kein „Altheidentum”. Unsere Sitte ist ein Bach, der aus dem alten Gletscher fließt, und mag er auch Teile seiner Strecke unterirdisch zurückgelegt haben, so ist er niemals ganz versickert.
Unser Kult, unsere Sitte, unsere Asentreue ist lebendig, solange wir uns daran erinnern.



Zur Erklärung der auf Eichenstamm verwendeten Bezeichnungen und Begriffe siehe hier.


Quellen

Krause 2015: Krause, Arnulf. Die Götter und Mythen der Germanen, Marixverlag, Wiesbaden 2015, S. 194.
Krause 2017:
Krause, Arnulf. Runen, Marixverlag, Wiesbaden 2017, S. 102 und 135.

Pons Latein: Pons Schülerwörterbuch Latein, Ernst Klett Sprachen 2007, S. 346.

Duden: Duden - Firn, aufgerufen am 10.02.2018.
Germanische Glaubens-Gemeinschaft: Webseite der Germanischen Glaubens-Gemeinschaft, aufgerufen am 10.02.2018.

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Kommentare: 2
  • #1

    Ingmar (Donnerstag, 22 März 2018 23:33)

    Schöner Beitrag, sehr sachlich geschrieben, die Vor- und Nachteile einer jeden Selbstbezeichnung abwägend - ich mag deinen Denk- und Schreibstil außerordentlich gern. Man spürt natürlich deine Affinität und doch erlegst du dir diese Kritik auf, um irgendwie Klarheit darüber zu gewinnen, welcher Weg am geeignetsten erscheint. Das finde ich gut.

  • #2

    Eichenstamm (Freitag, 23 März 2018 18:35)

    Ich danke dir für dein Lob, Ingmar! Es freut zu hören, dass der Artikel auf Anklang stößt!

    Ich musste beim Schreiben übrigens mehrmals an deine Seite denken, da du ja ausgerechnet die von mir präferierten Ausdrücke - "Asentreue/-glaube" und "Alte Sitte" - dort verwendest.

    Grüße!